- 02. Oktober – 07. November
Awaiting the Onset of the Sense of Life
Schaufenster-Installation von Pınar Öğrenci
HD video, 3.20 min., 2013
“Mourning: not a crushing oppression, a jamming (which would suppose a ‘refill’), but a painful availability: I am vigilant, expectant, awaiting the onset of the ‘sense of life’. 8 December” Roland Barthes, Mourning Diary.
“The union of soul and body is not an amalgamation between two mutually external terms… We connect with other beings only and only through our body.” Maurice Merleau-Ponty, The Phenomenology of Perception
In einer ihrer ersten künstlerischen Arbeiten untersucht Öğrenci den Einsatz von Elektrizität und Sensorik im öffentlichen und privaten Raum und befragt deren Verhältnis zu Körper und Umgebung. Das Video “Awaiting the onset of the sense of life” zeigt die Toilette einer Bar in München. In dem Video bewegt sich der Körper der Künstlerin in dem winzigen, klaustrophobischen Raum. Die Position des Körpers macht die Elektrizität und den Raum sichtbar und aktiviert gleichzeitig dessen Komponenten. Die Elektrizität und das Licht werden in dem Video zu einem Teil des Körpers und zu einer Verlängerung der Hände.
Die Elemente der Angst, der Wiederholung, des Lichts und der Dunkelheit spiegeln den Gemütszustand der Künstlerin in ihren “dunklen” Tagen wider – einer Zeit der Trauer und des “Wartens” kurz nach dem Tod ihres Vaters. Für die Künstlerin erinnert dieser Beginn ihrer künstlerischen Produktion an die Vorstellung von Elektrizität, an so etwas wie einen Blitzschlag. In ihren Worten: “Ich fühlte mich wie eine Wolke voller Elektrizität an einem wolkigen Tag – düster und bereit zu explodieren!”
Diese Schaufenster-Installation bildet den Abschluss der Reihe “Der beschwerliche Reichtum – Unabhängige Künstler*innen im Berlin der 1980er Jahre und heute”. Berlin steht seit Jahrzehnten für das Versprechen eines freien, von künstlerischer Ambition geprägten Lebens.
Seit Ende der 1970er Jahre gab es sowohl in West- als auch Ost-Berlin eine Vielzahl von unabhängigen Künstler*innen, die erfolgreich ihr Schaffen vorantrieben und sich – manchmal mitten im Kunstbetrieb, manchmal an seinen Rändern – kreative Freiräume erkämpften. Einige konnten sich international erfolgreich etablieren, andere zeichneten sich durch eine dauerhafte Verortung in der Subkultur aus.
Auch 2021 bleibt Berlin – selbst wenn es auch hier enger wird – ein Sehnsuchtsort für Künstler*innen aus Ländern, wo kreativer und kritischer Ausdruck kaum oder nur eingeschränkt möglich ist, und wo es kaum Perspektiven für alternative Lebensentwürfe gibt.
Diese zwei, zeitlich getrennten Bewegungen untersuchte Galerie Auslage mit ihrem Programm. In einer Reihe von Ausstellungen treffen Künstler*innen, die erst kürzlich in Berlin eingetroffen sind, auf Künstler*innen, die hier in den 1970er/1980er Jahren ihre künstlerische Laufbahn begonnen hatten. Das (Wieder)Sichtbarmachen dieser speziellen Seite der Berliner (Sub-)Kultur soll Anregung und Inspiration sein – und dabei keinesfalls nur von damals nach heute strahlen. Galerie Auslage wird fortfahren die genannten Positionen weiter zu erforschen und Verbindungen zwischen den verschiedenen Generationen unabhängiger Künstler*innen in Berlin herzustellen.
Die in Berlin lebende Künstlerin Pınar Öğrenci hat einen Hintergrund im Feld der Architektur, der ihre poetischen und auf Erfahrungen bezogenen Videoarbeiten und Installationen beeinflusst. Hier werden die Spuren von "materieller Kultur" im Zusammenhang mit erzwungener Vertreibung über verschiedene Geografien hinweg verdichtet. Ihre Arbeiten sind dekoloniale und feministische Lesarten der Überschneidungen von sozialer, politischer und anthropologischer Forschung, alltäglichen Praktiken und menschlichen Geschichten. Sie verfolgen Agenten der Migration wie Krieg, staatliche Gewalt, kollektive Bewegungen sowie industrielle und städtische Entwicklungsprojekte. Öğrenci ist Gründerin und Leiterin von MARSistanbul, einer Kunstinitiative, die 2010 ins Leben gerufen wurde. Sie war als Gastdozentin an der Universität Lüneburg (2017-8) und der Hochschule für Künste Bremen (HFK, 2019) tätig und unterrichtet derzeit an der Raumstrategien Kunsthochschule Weißensee Berlin. Öğrenci drehte 2020 in Berlin ihren ersten Dokumentarfilm "Gurbet is a home now", der die städtebaulichen Prinzipien im Berlin der 1980er Jahre kritisch hinterfragt und die persönlichen Erfahrungen und die Solidarität der in Kreuzberg lebenden Migrant*innen und Gastarbeiter*innen in den Mittelpunkt stellt.