- 02. July – 01. August
Öffentliches Wohnen / Sommerpause
Vom 02. Juli – 01. August präsentiert Galerie Auslage als Hommage an die Künstlerin Anne Jud ihr Video zu „Sommerpause” (1980), sowie photographische Dokumentationen von „Öffentliches Wohnen” (1980).
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Anne Jud war nach einer Schauspielausbildung in Zürich und Wien 1974 nach Berlin gekommen, wo sie 1976 ihr künstlerisches Arbeiten begann. Von 1977 bis 1981 war sie Mitglied der Galerie am Moritzplatz. Ihre Performances bevölkerten den West-Berliner Stadtraum der 1980er Jahre.
Bis Anfang der 1990er Jahre arbeitete Jud auch als Kostümbildnerin, so in Theaterproduktionen unter der Regie von Peter Stein oder Julia Siemers, in Filmen von Elfi Mikesch / Monika Treut, Ulrike Ottinger, Monika Funke Stern oder Rosa von Praunheim und in der Kostümassistenz mit Gisela Storch bei Jean Jourdheuil, Werner Herzog, Thomas Brasch oder Anthony Page; von 1987-1991 unterrichtete sie Kostüm an der Berliner HdK.
Neben objekthaften Arbeiten – vor allem Collagen, Assemblagen, möbelartigen Gegenständen und ein paar Filmen – bildete Performance ein Schwerpunkt ihrer künstlerischen Tätigkeit.
Natürlich ist Performance ein zeitbasiertes Medium, für manche ihre Arbeiten dehnte Jud das aber über den im musealen oder Galerien-Kontext erlaubten Bereich hinaus aus. Konsequenterweise arbeitete sie dafür im öffentlichen Raum. So ließ sie sie sich 1979 für 24 Stunden im SO 36 einschliessen („Eine Nacht eingeschlossen im SO 36”). Die im folgenden Jahr ebenso auf 24 Stunden angelegte Performance „Öffentliches Wohnen” auf der Naunynstraße musste sie nach Angriffen von benachbarten Hausbesetzern abbrechen, führte sie aber über in „Sommerpause” (1980), wo sie dann 24 Stunden auf einer Couch auf einer Brache in der Nähe des Potsdamer Platzes verbrachte. Anne Jud wurde von Freund*innen besucht und versorgt und dokumentierte Begegnungen und Begebenheiten in diesem Zeitraum; neben des intensiven weil andauernden Aussetzens und Ausstellens des eigenen Körpers (und Geistes), war ein Aspekt dieser Arbeiten auch die Interaktion mit zufällig vorbeikommenden Passanten.
Man sollte den Ton in ihren Performances nicht außer acht lassen: sei er konkret – beispielsweise in der Form eines Soundtracks, wie der von DIN A Testbild für „Karo” (1981) oder der von Gudrun Gut für „’Ad Acta’ Die vier Jahreszeiten” (1986, und zwei sich daraus entwickelnden Arbeiten in 1988), oder als elementarer Bestandteil der Performance, wie die zerberstenden Spiegelplatten bei „Eiskalt” (1987) oder die Windspiele in „Säulen-Installation” (Schlosspark Charlottenburg, 1992), oder auch mehr oder weniger präsent, so die an- und abschwellenden vor- und zurücktretenden Klänge des urbanen Raums – oder abstrakt, als Gedanke anwesend, so in der Wahl der Orte ihrer in Innenräumen stattfindenden Performances, wie den Konzertsälen SO36 Berlin oder Alter Wartesaal Köln.
Ein halbjähriger Studienaufenthalt 1975/1976 in USA und Mexiko nährte Anne Juds Faszination für Amerika. In ihren Collagen und Assemblagen verarbeitete sie über Jahrzehnte hinweg US-Amerikanische Dollarnoten (später auch Briefmarken); sie sezierte sie, benutzte sie als Rahmungen, vernähte sie 1980 für eine Performance zu einer Jacke, schneiderte Anzüge, die sie seriell bedruckte, verwendete sie in der Mode-Edition „Masterpieces” (1986, mit Claudia Skoda), kopierte sie auf transparente Folien wie bei „Foto-Aktion mit Dollar-Klarsicht-Form-Kleid” (1979) oder der Performance „Der Fechter ist gefangen” (Budapest, 1981) oder verwandelte und überhöhte Objekte, Möbel und Alltagsgegenstände, die sie mit Dollarnoten beklebte und bedruckte. Dabei schwingen Momente affirmativer Überhöhung und eines kritischen Blicks nebeneinander, ergänzen sich, überschneiden sich, widersprechen sich.
In ihrer Biographie erscheint es so nur stimmig, dass Anne Jud Mitte der 1990er Jahre ihren Arbeits- und Lebensmittelpunkt nach Solvang, USA verlegte, wo sie den Chirurgen Wolfgang C. Hallauer heiratete und das Artstudio on The Hallauer Ranch öffnete. 2016 verstarb sie unerwartet an einem Aneurysma.
Text: Andreas Reihse