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GALERIE AUSLAGE, PÜCKLERSTRASSE 17, 10997 BERLIN
  • 02. AUGUST — 02. SEPTEMBER 2021
Gabriele Stötzer

Freundschaft

Unsere nächste Ausstellung widmet sich Gabriele Stötzer, der vielleicht wichtigsten Künstlerin der DDR. Ihre Bedeutung wurde einer größeren Öffentlichkeit erst nach dem Ende dieses Staates gewahr, vor allem durch ihre zahlreichen Buchveröffentlichungen. Bis 1989 hatte das Ministerium für Staatssicherheit sein Möglichstes getan, ihre Sichtbarkeit auf ein Minimum zu reduzieren. Erst über die letzten Jahre wird auch ihr visuelles Werk der 1980er Jahre wiederentdeckt, und mit Staunen sieht man, wie dieses nicht nur nichts an Strahlkraft und Inspirierendem eingebüßt hat, sondern auch wie Stötzer in ihrer Arbeit Fragen aufwarf und zu Ergebnissen fand, zu denen nachfolgende Künstler*innen erst noch kommen sollten.

Gabriele Stötzer (auch Gabriele Kachold) Lebens- und Arbeitsmittelpunkt lag (und liegt) in Erfurt. Nach einer Ausbildung zur Medizinisch-Technischen Assistentin begann sie Mitte der 1970er Jahre ein Studium von Germanistik und Kunsterziehung. Zu dieser Zeit entstanden erste Kontakte zur (freien) Literatur- und Kunstszene in Jena.

Im Sommer 1976 geriet sie ins Visier der staatlichen Behörden, sie hatte sich in einer Petition gegen die Entlassung eines Studenten eingesetzt, woraufhin sie selbst von der Hochschule relegiert wurde und als Form einer “Bewährung” in einer Fabrik arbeiten musste. Aufgrund ihrer Beteiligung an einer Unterschriftenaktion gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns, später im selben Jahr, nahm sie die Staatssicherheit in Untersuchungshaft. Sie wurde wegen Staatsverleumdung zu einem Jahr Gefängnis im Zuchthaus Hoheneck verurteilt.

Mit ihrer Entlassung wurde ihr die Ausreise in die BRD angeboten. Sie lehnte ab, was erneut eine Bewährungsstrafe in einer Fabrik zur Folge hatte; von nun an stand sie unter ständiger Überwachung der DDR-Sicherheitsbehörden.

1980 übernahm sie die Galerie Im Flur, die zu einem wichtigen Anlaufpunkt der freien, nichtorganisierten Kunstszene werden sollte, und genau aus diesem Grund 1981 von der Stasi geschlossen wurde.

Nun wollte sie nicht mehr zulassen, dass etwas sie von ihrer künstlerischen Arbeit abhalte. Im Gefängnis hatte Gabriele Stötzer bereits mit dem Schreiben begonnen – bis 1989 boten Untergrund-Publikationen ihr die einzige Möglichkeit, zu veröffentlichen, darüber entwickelte sie aber mit auf persönlich biografischen Begebenheiten aufbauenden experimentellen, feministischen Texten ihre ganz eigene Stimme. Daneben rückte das Arbeiten mit Film, Performance und Mode in ihren Fokus; Stötzer war Mitbegründerin der (Frauen-)Punkband Erweiterte Orgasmus Gruppe und vor allem auch der KünstlerInnengruppe Erfurt.

Die Befragung des eigenen Körpers wurde ein zentrales Thema ihrer Arbeit. Die BürgerInnen der DDR pflegten ein relativ ungezwungenes Verhältnis zu Nacktheit, omnipräsent in der FKK-Kultur (eben nicht im Sinne des kapitalistischen Sex sells); Gabriele Stötzer und ihre Kolleginnen trugen das aber mitten in die Städte: Körperlichkeit, Sichtbarmachen, Entkleidung und Bekleidung stand im Zentrum ihrer Performances, photographischer und filmischer Arbeiten.

Stötzers Fotografien liegen meist zusammengefasst in kleinen Reihen vor, sortiert in Werkgruppen, die formal wie inhaltlich miteinander kommunizieren. Abbildungen von weiblichen Protagonistinnen, ihrer Künstlerinnengruppe, mal Freundinnen von ihr, singulär oder vereint, bei Performances oder künstlerischen Modeschauen, am Posieren, bei kleinen Inszenierungen und Aktionen. Stötzers Blick changiert zwischen einem eher spontan momenthaften, dokumentarischen und einem präzisen, wenn es gilt, eine Aufführung nur für die Kamera abzulichten.

Bei Galerie Auslage werden wir Gabriele Stötzers fotografische Dokumentation einer Performance von Cornelia Schleime zeigen (1983). Ausserdem: Lokalbestimmung (1984), eine von ihrer frühen Arbeiten auf Super-8, produziert im Zeitraum von 1982 bis 1984.

Gabriele Stötzer hat in den 1980er Jahren über ein Dutzend Super-8 Filme produziert, einen Teil davon gemeinsam mit der KünstlerInnengruppe Erfurt.

Lokalbestimmung führt von Erfurt über Jena nach Berlin. Die Filmbilder erklären sich nicht: schwarz-weißes und farbiges Filmmaterial wechseln sich ab; die Aufnahmen zeichnen die drei Städte nicht sonderlich nicht aus, nur der Turm in Jena ist eindeutig zuzuordnen; Auswahl und Sequenz der Einstellungen scheint erratisch.

Es ist eine Art von flanierender Bewegung, Architektur als Hinter- und Untergrund für Schnee, Straßenverkehr, Arbeit und Privates, eine Frau schiebt in drohender Neugier die Gardine zur Seite. Meist aber sind es Bilder von Freundinnen, über die Straße gehend, vor Bauwerken verharrend, in salopper Inszenierung; als Finale eine Treppe hinauf und hinunter, ein Werfen und Abklappern über die Balustrade, zwischen spielerischer Geste und Erschöpfung.

Ein poetischer Text, aus dem Off von Gabriele Stötzer gesprochen, umfasst die Szenen und öffnet sie in eine weitere, größere. Ihre Worte sind selbstreflexiv, von lakonischem Ton, in einer gewissen Traurigkeit, ihr Sprachgestus ist nüchtern-betrachtend, sie kennt ihren Text, aber es geht jetzt um diesen Moment, in dem sie ihn liest, sie verhaspelt sich mal etwas, mit leichtem Akzent. Die Stimme mahnt ein Weitermachen ein, an sich selbst, all dem Schmerz zum Trotz, ein Weitermachenmüssen, Weglaufen nicht gelten lassen, auch wenn es da einen Raum zu geben scheint, hinter der verbotenen Tür, aber die zu durchschreiten verbietet sie sich.

Die Tonspur bildet dabei nicht nur ihre Stimme ab, sondern den Sprechvorgang selbst und den umgebenden Raum. Wo sie im Filmbild nicht als Person erscheint, so wird sie über den Ton sichtbar. Wir können die Größe ihres Zimmers vermessen, wir hören ihr Lesen, ihr Blättern, ihr Umblättern, wie sie Seiten heraustrennt, sie kleiner reisst, flachklopft, in immer kleinere Stücke zerreißt, als wolle sie keine Spuren hinterlassen. Es gibt keinen Grund, Spuren auf Papier zu hinterlassen, wo sie doch alle jetzt im Film sind.

Gabriele Stötzers Stasi-Akte ist in weiten Teilen erhalten geblieben, und sie gibt gruselige Einblicke in die Arbeit des DDR-Inlandgeheimdienstes, am gespenstischen die Berichte des narzisstischen, als Künstler maskierten, pathologischen Lügners IM Sascha Anderson.

Als Stötzer von der Staatssicherheit der “Vorschlag” unterbreitet wurde, in die BRD auszureisen, nahm sie ihn nicht war. An der Vielfältigkeit in der Form ihres künstlerischen Ausdrucks und an ihrem Arbeiten auf unterschiedlichsten Ebenen mag man ablesen, dass sie nicht etwa ein neues Beginnen “im Westen” gescheut hätte; ihre wilden feministischen politischen Arbeiten zeigen eher an, dass das “Experiment DDR” für sie nie erledigt war.

Wir freuen uns, bald mehr von Gabriele Stötzer sehen zu können und möchten hiermit auch die kommenden Ausstellungen in der nGbK ankündigen: zum einen als Teilnehmerin in der Gruppenausstellung … oder kann das weg? Fallstudien zur Nachwende – vom 16. September bis zum 7. November 2021 und ins Besondere in Hosen haben Röcke an. Künstlerinnengruppe Erfurt (1984-1994) vom 27. November 2021 bis zum 23. Januar 2022.

Text: Andreas Reihse